Der Fingerabdruck der strukturellen Dynamik in Biomolekülen

20.01.2023

Aktivitäten in unserem täglichen Leben werden hauptsächlich durch die Umsatzrate unserer biomolekularen Maschinen begrenzt. Nach einer ausgiebigen Sporteinheit müssen wir unsere Energie regenerieren. Dabei füllen Enzyme in unseren Zellen unsere Vorräte an Molekülen wie ATP auf und Ionenpumpen transportieren Kalium- und Natriumionen zurück in unsere Muskelzellen. Dazu verändern diese biomolekularen Maschinen oft ihre Konformation. Obwohl der Reaktionsweg vieler biomolekularer Maschinen bekannt ist, ist es sehr schwierig, die Geschwindigkeit des Wechsels zwischen zwei Konformationszuständen zu untersuchen. Doch ist die Quantifizierung dynamischer Prozesse für das Verständnis vieler biologischer Prozesse von grundlegender Bedeutung.

Wissenschaftler untersuchen solche dynamischen Prozesse und Konformationsänderungen mit einem hochempfindlichen spektroskopischen Lineal, dem sogenannten Förster-Resonanz-Energie-Transfer (FRET). Dabei lesen sie die abstandsabhängige Energieübertragung zwischen zwei organischen Farbstoffen aus. Die Methode ist so empfindlich, dass Wissenschaftler Abstandsänderungen eines einzelnen FRET-Paares an einer einzelnen biomolekularen Maschine nachweisen können. Häufig sind die Fluktuationen des Fluoreszenzsignals so schnell, dass sich die Wissenschaftler auf die statistische Analyse des Intensitätssignals einer einzelnen biomolekularen Maschine stützen müssen. Die Analyse der Fluktuationen ist als Fluoreszenzkorrelationsspektroskopie (FCS) bekannt, aber diese Methode liefern nur die Zeitskala der Konformationsänderungen, nicht aber die Vorwärts- und Rückwärtsübergangsrate. Außerdem kann die Interpretation der Intensitätskorrelation mehrdeutig sein, da die Photophysik der Fluoreszenzfarbstoffe zu Artefakten führen kann. Um diese auszuschließen, sind oft zusätzliche Experimente erforderlich, die einen hohen Arbeitsaufwand mit sich bringen.

Die LMU-Wissenschaftler Dr. Tim Schröder, Prof. Don C. Lamb und Prof. Philip Tinnefeld und ihr Team berichten nun über einen eleganten Ansatz zur Analyse von Intensitätsschwankungen, indem sie die Lebensdauer des angeregten Zustands der organischen Farbstoffe ausnutzen. Die Änderung der Fluoreszenzlebensdauer erwies sich als Fingerabdruck der Konformationsänderungen von Biomolekülen in einem FRET-Experiment. Störende photophysikalische Prozesse ändern die Fluoreszenzlebensdauer der organischen Farbstoffe hingegen nicht. Dabei filtern die Wissenschaftler die Intensität hinsichtlich der Fluoreszenzlebensdauer und verwenden nur Teilmengen des Intensitätssignals für die Intensitätskorrelation. Auf diese Weise können photophysikalische Artefakte der organischen Farbstoffe leicht unterschieden und das gesuchte Signal des Biomoleküls isoliert werden. "Die neue Methode, die wir Shrinking Gate (sg)-FCS nennen, beschleunigt die Analyse von Intensitätsschwankungen erheblich und liefert Informationen, die bisher nur schwer zu extrahieren waren. Wir brauchen keine Vorannahmen oder zusätzliche Experimente und können uns auf die Interpretation der Daten konzentrieren", sagt Dr. Tim Schröder, der die Entwicklung der neuen Technik geleitet hat.

Die Wissenschaftler demonstrierten das Potential ihrer Technik an gut definierten Modellstrukturen, bevor sie die Technik auf andere Projekte des Labors anwandten. Die erste Anwendung war die Isolierung der Brown‘schen Bewegung eines Biosensors auf Graphen. Die Bindung eines Proteins verlangsamt diese Bewegung erheblich, und ein Bindungsereignis wird erkannt. In der zweiten Anwendung haben sie den Mechanismus eines neuen FRET-basierten Membranladungssensors entschlüsselt, den sie zur Untersuchung der Membranladung von Zellen entwickelten. Der Ladungssensor ist an der Membran verankert, und die Wissenschaftler konnten zeigen, dass der Sensor aufgrund eines Gleichgewichts aus temporärem Anlagern und Ablösen von der Membran funktioniert. Dieses Gleichgewicht wird durch die Oberflächenladung der Membran bestimmt. "Seit mehr als 20 Jahren wird FCS im Zusammenspiel mit der Fluoreszenzlebensdauer analysiert, aber wir können dieses Zusammenspiel heute noch verbessern. Das ist sehr aufregend!", sagt Prof. Philip Tinnefeld. "Unser neuer allgemeiner Ansatz bietet ein breites Spektrum an Anwendungen und wir werden daran arbeiten, schnelle Konformationsänderungen in komplexen Umgebungen wie lebenden Zellen zu untersuchen."

 

 

Paper: https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2211896120

Kontakt
Prof. Dr. Philip Tinnefeld
Chemie Department
Physikalische Chemie / Nanobiochemie
LMU München
Butenandtstr. 5 - 13
81377 München

Mail:
Web: https://tinnefeld.cup.uni-muenchen.de