Stimulierung des Immunsystems mit Schwämmen aus Kieselsäure

07.06.2021

Ein Team der Universität Genf und der Ludwig-Maximilians-Universität München hat Silica-Nanopartikel entwickelt, welche die Wirksamkeit und Präzision von Immuntherapien deutlich erhöhen.

© UNIGE, Carole Bourquin. Konfokalmikroskopische Aufnahme von Immunzellen (in Rot). In Grün: Siliziumdioxid-Nanopartikel. Die Nanopartikel, die einmal von den Immunzellen aufgenommen wurden, erscheinen gelb.

Immuntherapien werden zunehmend zur Bekämpfung von Krebs eingesetzt und zielen darauf ab, das Immunsystem zur Selbstverteidigung mittels Zerstörung von Tumorzellen anzuregen. Obwohl diese Behandlungen oft wirksam sind, können ihre erheblichen Einflüsse auf den Körper schwere Nebenwirkungen haben. Um die Präzision zu erhöhen und unerwünschte Nebenwirkungen zu begrenzen, hat ein Team der Universität Genf (UNIGE) und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München Silica-Nanopartikel mit einem präzisen Öffnungsmechanismus entwickelt, die ein Medikament genau dorthin transportieren können, wo dieses aktiv werden soll. Die mikroskopisch kleinen Vehikel könnten möglicherweise nicht nur zur Krebsbehandlung verwendet werden, sondern auch, um andere Medikamente in das Zentrum unseres Immunsystems zu bringen und so den Weg für völlig neue therapeutische oder präventive Strategien ebnen. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift ACS Nano nachzulesen.

In der Medizin werden Nanopartikel verwendet, um ein Medikament zu verkapseln und es dadurch zu schützen: Tatsächlich ermöglicht ihre Nanogröße, dass sie von dendritischen Zellen, der ersten Verteidigungslinie des Körpers, aufgenommen werden. „Dendritische Zellen haben die Aufgabe, fremde Elemente zu phagozytieren, um sie in die Lymphknoten zu bringen und so die Immunantwort auszulösen“, erklärt Carole Bourquin, Professorin an den Medizinischen und Naturwissenschaftlichen Fakultäten der UNIGE, die diese Forschung leitet. „Wir machen uns diesen Mechanismus zunutze, um diese Zellen einen in Nanopartikel verkapselten Wirkstoff transportieren zu lassen, der so direkt in die Lymphknoten gelangt, wo die Immunantwort eingeleitet wird.“

Silica, ein Material mit vielfachen Eigenschaften

Obwohl Nanopartikel bereits bei bestimmten Behandlungen eingesetzt werden – jüngstes Beispiel sind die Boten-RNA-Impfstoffe gegen Covid-19 – kann das System noch verbessert werden. „Medizinische Nanopartikel bestehen im Allgemeinen aus Polymeren oder Lipiden“, sagt Julia Wagner, Doktorandin im Labor von Professor Bourquin und Erstautorin dieser Arbeit. „In manchen Fällen ist jedoch die Löslichkeit des zu transportierenden Stoffes nicht mit den Eigenschaften der Nanopartikel vereinbar. Das macht es schwierig, die Partikel mit dem Medikament zu beladen.“

Die Wissenschaftler wandten sich daher der Kieselsäure zu, einem Mineral, das in der Natur vorkommt. „Mesoporöse Silica-Nanopartikel sind wie kleine Schwämme mit leicht zu füllenden Hohlräumen, deren Eigenschaften besser an die des Wirkstoffs angepasst werden können“, erklärt Dorothée Dollenmayer (geb. Gößl), Doktorandin im Labor von Professor Bein an der LMU. „Das von uns verwendete Antitumor-Medikament war zum Beispiel schon mit anderen Partikeln getestet worden, aber es ist oft zu schnell ausgelaufen.“

Ein Deckel, der sich nur am richtigen Ort öffnet

Um die Leistung ihrer Partikel weiter zu verbessern, fügte das Forschungsteam einen Deckel hinzu, der die mit Medikamenten beladenen Hohlräume abdeckt und verhindert, dass das Medikament während des Transports entweicht. „Der Deckel reagiert auf den pH-Wert seiner Umgebung: Wenn die Partikel im Blut zirkulieren, das einen neutralen pH-Wert von etwa 7,40 hat, bleibt er fest an Ort und Stelle. Sobald die Partikel jedoch von den dendritischen Zellen aufgenommen wurden, gelangen sie in Vesikel im Inneren der Zelle, deren pH-Wert sauer ist. Dann geht der Deckel auf und das Medikament wird freigesetzt“, sagt Thomas Bein, Professor an der LMU, dessen Arbeitsgruppe die multifunktionalen mesoporösen Nanopartikel entwickelt hat.

Diese technische Meisterleistung gewährleistet die hohe Präzision der Behandlung: Die Versiegelung erhält die Integrität des Arzneimittels und damit seine Wirkungsdauer, verhindert gleichzeitig seine Ausbreitung im Körper und reduziert so unerwünschte Nebenwirkungen. Tatsächlich stimulieren einige Medikamente das Immunsystem extrem stark, verschwinden jedoch innerhalb weniger Stunden und erfordern eine wiederholte Verabreichung hoher Dosen. „Mit unseren Nanopartikeln kann das Medikament bis zu sechsmal länger wirken, was es ermöglichen würde, niedrigere und besser verträgliche Dosen zu verabreichen“, so die Autoren. Ihre Arbeit liefert einen Machbarkeitsnachweis für den Mechanismus dieser Nanopartikel, der sowohl gegen Krebs als auch gegen andere Krankheiten oder als Teil von präventiven oder therapeutischen Impfstoffen eingesetzt werden könnte. „Unsere Arbeit wird nun fortgesetzt, um diese ersten Ergebnisse zu bestätigen und ihre Verwendbarkeit mit einer breiteren Palette von Anti-Tumor-Medikamenten zu reproduzieren.“

Kontakt

Prof. Thomas Bein 
Department Chemie und Center for NanoScience (CeNS), Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München, Deutschland

Dorothée Dollenmayer (geb. Gößl)
Department Chemie und Center for NanoScience (CeNS), Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)

Prof. Carole Bourquin
Klinik für Anästhesiologie, Pharmakologie, Intensivmedizin und Notfälle UNIGE Medizinische Fakultät
Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Westschweiz, UNIGE Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät

Julia Wagner
Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Westschweiz, UNIGE Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät

DOI: 10.1021/acsnano.0c08384