Vorlesung zum Liebig-Laboratorium

Ziele

Die begleitende Vorlesung zum Liebig-Laboratorium soll die notwendigen theoretischen Grundlagen vermitteln, die die Teilnehmer des Kurses in die Lage versetzen, alle im Programm vorgesehenen Laborarbeiten sicher und mit Sachkenntnis durchführen zu können. Der Hauptschwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Analyse von Wasserproben (Kalkkreislauf), polyfunktioneller Moleküle wie z.B. Aminosäuren (Säure-Base-Verhalten und Funktion als Chelatligand) sowie Redoxvorgängen (Bleich- und Desinfektionswirkung von starken Oxidationsmitteln wie Peroxiden). Auch hier bildet die Vermittlung wichtíger Grundkenntnisse bei der chemischen Maßanalyse einen Schwerpunkt.

Organisatorisches

Die begleitende Vorlesung zum Liebig-Laboratorium wird von Herrn PD Dr. Böttcher in der Zeit vom 7. bis 17. November 2011 (wie im Stundenplan ausgewiesen) gehalten. Die Abschlussklausur zum Liebig-Laboratorium findet am 1. Februar 2012 von 13.00 bis 14.30 Uhr im Liebig- und im Buchner-Hörsaal statt. Für das Schreiben der Klausur ist es notwendig, dass Sie einen (nichtprogrammierbaren) Taschenrechner mitbringen. Alle anderen Materialien werden Ihnen zur Verfügung gestellt.

Literatur

Als begleitendes Lehrbuch empfehlen wir Ihnen das Werk C. E. Mortimer, U. Müller: Chemie. 9. Auflage, Thieme 2007, ISBN 978-3-13-484309-5. Der „Mortimer“ steht Ihnen auch innerhalb des Münchner Hochschulnetzes elektronisch zur Verfügung: „E-Book“

Die Seitenangaben in diesem Skript beziehen sich eben auf diese Ausgabe.

Der Kalkkreislauf

Die Lernziele dieser Lehreinheit umfassen folgende Schwerpunkte: Wir besprechen die Umstände, die zur sogenannten Wasserhärte führen und lernen kennen, wie die Hauptbestandteile der Härtebildner (Calcium- und Magnesium-Ionen) in ein Grundwasser gelangen. Als Standardmethode der klassischen Wasseranalyse wird die komplexometrische Titration abgehandelt. Weiterhin wird der Begriff der Wasserhärte definiert, die sich aus den Bestandteilen "Carbonathärte" (CH, temporäre Härte) und der "Nicht-Carbonathärte" (NCH, permanente Härte, u.a. auch "Sulfathärte") zusammensetzt. Sie lernen kennen, wie die Gesamthärte eines Brauch- oder Trinkwassers bestimmt werden kann. Eine wichtige Kenngröße stellt dabei die Gesamtalkalität des Wassers dar, die im Prinzip durch eine Säure-Base-Titration bestimmbar ist.

Literatur: Mortimer (2007) S. 486-490, S. 293-317, S. 505-512.

Allgemeines zum Kalkkreislauf

Die Wasserhärte wir hauptsächlich durch den Gehalt an Calcium- und Magnesium-Ionen in einem Wasser verursacht. Aus Gesteinsmaterialien in Gebirgen (z.B. „Dolomit“, Mischverbindung gleicher Anteile von Calcium- und Magnesiumcarbonat) werden durch Regenwasser Calcium- bzw. Magnesium-Ionen herausgelöst. Dieser Löseprozess basiert zunächst auf der eigentlichen Löslichkeit dieser Verbindungen in Wasser (Löslichkeitsprodukt). Die Löslichkeit wird allerdings verbessert, da das Regenwasser saure Anteile aufweist ("Kohlensäure"), die einerseits auf dem natürlichen Gehalt an Kohlendioxid in der Luft, aber auch durch einen erhöhten Grad an Umweltverschmutzung (u.a. auch Schwefeldioxid o.ä. saure Gase) beruhen. Eine geeignete Methode, um Metall-Ionen in Wässern nachzuweisen, stellt die Komplexometrie dar.

Grundlagen der Komplexometrie

In diesem Kapitel lernen Sie das Grundprinzip der Methode kennen. Es handelt sich dabei um eine volumetrische Bestimmung, wobei im Prinzip eine Bildung sehr stabiler Chelatkomplexe ausgenutzt wird. Der Titrator hierbei ist ein sechszähniger Chelatligand: Ethylendiamintetraessigsäure. Ein großer Vorteil der Methode ist, dass sich stets 1:1-Komplexe bilden, d.h., das zu bestimmende Metall-Ion und der Ligand reagieren stets im molaren Verhältnis von 1:1. Der Grundkörper des verwendeten Liganden leitet sich vom Ethylendiamin (1.2-Diaminoethan) ab, indem die vier H-Atome jeweils durch einen Essigsäurerest substituiert sind. Als Maßlösung wird in der Praxis häufig "Titriplex III" verwendet, das Dinatriumsalz der Ethylendiamintetraessigsäure. Die Indikation des Äquivalenzpunktes erfolgt mit sogenannten Metall-Indikatoren. Im Prinzip stellen sie organische Farbstoffe dar, die befähigt sind, mit dem zu bestimmenden Metall-Ion einen (stabilen) Komplex zu bilden. Bei dieser Komplexbildung verliert der Indikatorfarbstoff seine Eigenfarbe. Die Ionen des zu bestimmenden Metalls bilden allerdings wesentlich stabilere Komplexe mit edta, somit erfolgt am Äquivalenzpunkt der Titration eine Verdrängungsreaktion des Indikators aus dem Komplex, so dass der Indikator seine Funktion als Ligand verliert und in der ursprünglichen Form in die Lösung freigesetzt wird. Dabei nimmt er seine Eigenfarbe wieder an und es kommt zu eiem spezifischen Farbwechsel. Zwei wichtige Dinge sind bei komplexometrischen Titrationen zu beachten: da bei der Komplexbildung aus dem Titrator Protonen freiwerden, wird die Lösung im Prinzip "saurer". Das kann Probleme bereiten, da viele Komplexe nur in bestimmten pH-Wert-Bereichen stabil sind. Insofern ist häufig eine Pufferung der Lösung unbedingt notwendig. Ebenso benötigen auch die Metallindikatoren betimmte pH-Bereiche, in denen der spezifische Farbumschlag erfolgt. In der Praxis werden zweckmäßigerweise Indikatorpuffertabletten verwendet, d.h. es handelt sich hierbei um die Pufferkomponenten in Kombination mit einer Indikatorfarbstoffverreibung. Dennoch sollten Sie sich nicht nur "blind" auf die Puffertablette verlassen, sondern während der Titration stets den pH-Wert regelmäßig überprüfen!

Komplexometrie: verschiedene Methoden

Häufig wird die direkte Titration angewendet, die Lösung des Metall-Ions wird also direkt mit der Titriplex-III-Lösung gegen einen Metall-Indikator titriert. In diesem Zusammenhang ist die Calcium-Bestimmung (v 1.5) zu erwähnen. Weiterhin lernen Sie die Methode der Rücktitration kennen (z.B. Bestimmung von Al); sie basiert auf der geringeren Stabilität der Mg- bzw. Zn-Komplexe (mit edta) im Vergleich zu vielen anderen Kationen. Das Prinzip der Rücktitration ist folgendes: ein bekanntes Volumen an Titriplex III wird im Überschuss zu Analysenprobe gegeben. Dabei wird die gesamte Menge an zu bestimmendem Kation gebunden. Anschließend wird der Rest der nicht verbrauchten Maßlösung mit z.B. Magnesiumsulfat (oder Zinksulfat)- Maßlösung "zurücktitriert". Die Methode basiert auf der unterschiedlichen Komplexstabilität: lgβ(Al-Komplex) = 16.70 vs. lgß(Mg-Komplex) = 8.69. Würde dieser gravierende Unterschied nicht bestehn, würde eine Verdrängungreaktion des Aluminums aus seinem edta-Komplex erfolgen.

Komplexometrie: sehr empfindliche Nachweismethode!

Um bei komplexometrischen Titrationen genaue Analysenergebnisse zu erzielen, ist es unbedingt erforderlich, dass Sie extrem saubere Glasgeräte verwenden. Sie sollten dazu alle Glasgeräte mit Spülmittel und Bürste gut reinigen und danach mit viel entionisiertem (!) Wasser mehrmals spülen. Ein Spülen nur mit Leitungswasser würde Ihnen beträchtliche Mengen an Fremdionen (eben Ca und Mg!) in die Gefäße schleppen.

Komplexometrie: Prinzip der Endpunkterkennung

Zu Beginn der Titration wird ein geeigneter Metall-Indikatorfarbstoff zugesetzt (z.B. Eriochromschwarz T oder Xylenolorange). Dabei bildet dieser mit dem zu bestimmenden Kation einen (stabilen) Komplex, wobei sich auch die Eigenfarbe des Indikators ändert. Am Äquivalenzpunkt erfolgt schließlich eine Verdrängungsreaktion des Indikatorfarbstoffs aus dem anfänglich gebildeten M-Indikator-Komplex, da der Komplex des zu bestimmenden Metall-Ions eine höhere Komplexstabilität aufweist (Konkurrenzreaktion um das Zentralatom). Beim Freisetzen des Indikatorfarbstoffs wird seine Eigenfarbe wieder sichtbar (Äquivalenzpunkt).

Bestimmung von Calcium

Allgemeines: Sie arbeiten streng nach der Vorschrift des Praktikumsskriptes; kontrollieren Sie dabei den pH-Wert zu Beginn und regelmäßig während der Titration! Arbeiten Sie in sehr sauberen Glasgefäßen! Ausgangspunkt für die Berechnung des Calciumgehaltes in der Probe bildet - wie schon angemerkt - die Bildung von 1:1-Komplexen, insofern gilt z.B. für die Berechnung: 1 mL 0.1 m Titriplex-III-Lösung = 4,008 mg Ca. Für andere Metall-Ionen (z.B. Fe) würde analog gelten: 0.1 m Titriplex III-Lösung = 5.585 mg Fe (bzw. bei Verwendung einer 0.01 m-Maßlösung entsprechend 0.5585 mg Fe, wobei die Verwendung von 0.01 m-Maßlösungen prinzipiell genauer ist!).

Wasseranalyse - Wasserhärte

Woher stammen die Ca- bzw. Mg-Ionen in einem Grund- oder Brauchwasser? Wie oben erwähnt werden z.B. aus dem Gesteinsmineral Dolomit Ca- und Mg-Ionen (in Form ihrer Carbonate gebunden) durch Niederschlagswasser herausgelöst. Zum einen ist die Löslichkeit dieser Salze in Wasser dafür verantwortlich: L(Magnesiumcarbonat) = 2,6 × 10−5; L(Calciumcarbonat) = 4,7 × 10−9 mol/L. Die Löslichkeit wird durch den "sauren" Regen (erhöhter Kohlendioxid- oder Schwefeldioxid-Gehalt in der Luftatmosphäre) verbessert, da sich generell die Carbonate aller Metallionen des PSE schon in verdünnten Mineralsäuren (auch schwache Säuren!) lösen. Der Gehalt an Calciumhydrogencarbonat bestimmt die sogenannte "Carbonathärte" (CH, temporäre Härte; wird beim Erhitzen stark reduziert, z.B. durch Kesselsteinbildung, d.h. es fällt beim Aufkochen des Wassers ein beträchtlicher Teil an Calciumcarbonat aus. Der Gehalt an anderen Salzen (außer Carbonate und Hydrogencarbonate) im Wasser, wie z.B. Sulfate oder Chloride, gehen beim Erhitzen des Wassers keine Reaktion ein (keine Ausfällung schwerlöslicher Salze!). Insofern handelt es sich hierbei um der sogenannten Teil der permanenten (bleibenden) Härte, oder wir sprechen vom Anteil der Nichtcarbonathärte (NCH). Ein völlig entsalztes Wasser wird beispielsweise durch Ionenaustauschprozesse erhalten. Auf diese Prozesse wird nur kurz verwiesen (s. auch im alten Skript zur Vorlesung: Ionenaustauschprozesse). Durch Abkochen von Wasser wird also stets nur ein teilentsalztes Wasser erhalten, wenn das ausgefallene Calciumcarbonat durch Fitration entfernt wird. Die Gesamthärt eines Wassers setzt sich also als Summe von CH + NCH zusammen. Definitionsgemäß wird die Wasserhärte in sog. Härtegraden angegeben und bezieht sich nur auf den Gehalt der im Wasser gelösten Calcium-Ionen. Beachten Sie aber, dass dabei ein Teil davon auch in Form von Magnesium-Ionen vorliegt. Durch eine spezielle komplexometrische Trennung (Simultanbestimmung von Ca neben Mg) kann der Gehalt an Ca bzw. Mg genau bestimmt werden. Diese Bestimmung führen Sie aber im Praktikum nicht aus! Die Wasserhärte wird in °dH ("Grad deutscher Härte") angegeben: 1 °dH = 10 mg CaO/L, für Ca bedeutet 1 °dH = 7.15 mg Ca/L, für Mg bedeutet 1 °dH = 4.34 mg Mg/L. Beispielsweise enthält ein Mineralwasser (Gerolsteiner) im Durchschnitt 348 mg Ca/L und 108 mg Mg/L. Für beide Ionen würde das in der Summe einem Härtegrad von 73.55 °dH entsprechen. Für den Versuch 1.6 (Bestimmung der Gesamthärte eines gegebenen Wassers) stellen Sie sich zunächst eine 0.01 m Titriplex-III-Lösung her (durch Verdünnen einer käuflichen Maßlösung, 0.1 m) und bestimmen den Faktor dieser Maßlösung. Als Urtiter dient exakt getrocknetes und genau eingewogenes Calciumcarbonat, das durch Lösen in Salzsäure Ihnen eine Urtiterlösung liefert, die zur Einstellung der edta-Maßlösung dient. Mit dieser eingestellten Maßlösung bestimmen Sie dann gemäß der Vorschrift für V 1.7 den Gehalt an Ca (in der Summme ist Mg enthalten) und rechnen in den entsprechenden Härtegrad um.

Bestimmung der Gesamtalkalität eines Trinkwassers

Unter der Gesamtalkalität eines Wassers versteht man alle Bestandteile eines Wassers, die oberhalb des Umschlagpunktes von Methylorange (pH 3,1–4.4) zugesetzte Säure binden (Säure-Base-Titration mit einer 0,1 m Salzsäure-Maßlösung). Exakter als die Angabe der sogenannten Carbonathärte ist eben die Bestimmung der Alkalität (entspricht dem Säureverbrauch).

Säure und Base und Chelatligand: Aminosäuren als polyfunktionelle Moleküle

Die Lernziele dieser Lehreinheit umfassen folgende Schwerpunkte: Wir lernen, dass Aminosäuren polyfunktionelle Moleküle sind, wobei das wesentliche Lernziel ist, die Säure-Base-Chemie der Aminosäuren als schwache Säuren im Wechselspiel verschiedener funktioneller Gruppen zu verstehen. Ein wichtiges Kriterium dieser Moleküle ist der isoelektrische Punkt, der sich aus den einzelnen Protolysekonstanten der verschiedenen Aminosäuren berechnen lässt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Verständnis, dass Aminosäuren als Chelatliganden in Metallkomplexen fungieren können. Sie haben im vorherigen Kapitel das Komplexbildungsverhalten der Ethylendiamintetraessigsäure kennengelernt. Dabei haben wir aber zunächst nicht darüber nachgedacht, dass diese Verbindung im Prinzip eine spezielle Art einer Aminosäure darstellt.

Literatur: Mortimer (2007) S. 293-317, S. 505-512, S. 567-569 (AS/Azoverbindungen), S. 605-607 (AS), S. 10 (DC).

Allgemeines zu Aminosäuren

Aminosäuren (AS) leiten sich von der Klasse der organischen Carbonsäuren ab. Letztere sind durch die funktionelle Carboxylgruppe (-COOH) gekennzeichnet. Befindet sich in der aliphatischen Kette der Carbonsäure eine Aminofunktion als Substituent, so spricht man von Aminocarbonsäure oder eben Aminosäure. Sie finden eine Übersicht über die 20 proteinogenen (am Aufbau der Proteine beteiligt) AS im Mortimer. (Sie brauchen nun nicht alle diese Formeln auswendig lernen, aber einige wichtige Verbindungen wie beispielsweise Glycin, Alanin, Cystein oder Methionin sollten Sie sich ruhig schon mal einprägen.) Im Vorpraktikum haben Sie (im einfachsten Fall am Protolyseverhalten des Wassermoleküls) kennengelernt, wann ein Stoff ampholytische Eigenschaften besitzt. Aminosäuren erweisen sich als Ampholyte. Das hier ein Paar aus schwacher Säure und schwacher Base zusammen wechselwirkt, verstehen wir am besten, wenn wir das Salz Ammoniumacetat als Ausgangspunkt unserer Betrachtungen nehmen. In diesem Salz finden wir das Ammoniumion vor: wir haben schon kennengelernt, dass das Ammonium-Kation in wässriger Lösung als Kation-Säure fungieren kann. Liegt in einem Salz neben dem Ammonium-Kation das Anion einer starken Säure vor, so reagieren die Lösungen infolge der Protolyse des Ammonium-Kations sauer (Bsp. Ammoniumchlorid). Liegt dagegen in einem Salz das Acetat-Ion in Kombination mit dem Kation einer starken Base vor, so reagiert die Lösung infolge der Protolyse des Acetat-Ions basisch (Bsp. Natriumacetat). Das Problem beim Ammoniumacetat besteht nun darin, dass dem Ammonium-Ion durch die Anwesenheit des Acetat-Ions nun als Protolysepartner eine stärkere Base zur Verfügung steht als es für Wasser der Fall ist. Es gilt daher folgende Regel (vgl. Skript zur Vorlesung AC1 von Prof. Klüfers, pdf, S. 101-106): eine Verbindung [HB][A] wird dann als Ampholyt angesehen, wenn die pKs-Werte des Kations (HB) bzw. des Anions (A) im Bereich von -1.7 bis 15.7 liegen (Grenzfall ist eben Wasser mit pKs = 15.75).

Aminosäuren als Ampholyte

Nicht nur Salze können Ampholyte darstellen, sondern auch Moleküle mit zwei (oder gar mehreren) funktionellen Gruppen. In der einfachsten AS Glycin treffen wir nun wieder beide Gruppen des Salzes Ammoniumacetat an, nämlich die Aminofunktion, die in protonierter Form stark dem Ammonium-Ion ähnlich ist, sowie die Carboxylatogruppe, die dem Acetat-Ion stark ähnelt. Einziger Unterschied ist hierbei, dass die beiden funktionellen Gruppen über das Molekülgerüst kovalent miteinander verbunden sind. Prägen Sie sich doch bitte von Anfang an ein, dass diese auf den ersten Blick kovalent anmutenden Moleküle stets einen (inneren) salzartigen Charakter entfalten, gerade wenn sie in wässriger Lösung vorliegen. Ein inneres Salz entsteht immer dann, wenn das Proton der Carboxylfunktion abdissoziiert und an die basische Aminofunktion bindet und dabei eine Ammoniumfunktion resultiert; es liegt dann ein Zwitter-Ion vor. Betrachten wir jetzt folgenden Ausgangspunkt: Glycin liegt im sauren pH-Wert-Bereich (pH = 1) vor. Die AS wird in diesem Fall in voll protonierter Form vorliegen, sie stellt somit eine zweibasige Säure dar (Amino- und Carboxylato-Funktion sind beide vollständig protoniert). Wird nun der pH-Wert langsam durch sukzessive Laugenzugabe erhöht, wird die protonierte Carboxylatogruppe (warum diese und nicht die Ammoniumfunktion?) deprotoniert werden, und wir gelangen in einen Pufferbereich ähnlich wie wir es für die Titration der schwachen Säure Essigsäure mit der starken Base Natronlauge kennengelernt haben. Wir gelangen auch hier zu einem Pufferpunkt, der dem pKs1 der AS entspricht (Glycin bei pH = 2.35). An diesem Punkt gilt streng die Puffergleichung, d.h., das Verhältnis von Säure (H2A+) und Base (HA in diesem Fall) ist 1:1. Eine weitere Laugenzugabe führt nach Verlassen des Pufferbereiches zu einem extrem steilen Anstieg der Titrationskurve bis ca. pH = 8. Der Wendepunkt in diesem steilen Anstieg der Kurve stellt den isolelektrischen Punkt dar. Hierbei liegt die gesamte Menge an Aminosäure als Zwitterion vor. Physikalisch ist dies messbar, da hier keinerlei Teilchenbeweglichkeit beim Anlegen eines elektrischen Feldes mehr nachweisbar ist.

Pufferwirkung von Aminosäuren

Da die funktionellen Gruppen von AS stets nur als schwache Säuren oder Basen anzusehen sind (vgl. pKs-Werte im Praktikumsskript: Tabelle auf S. 27), lassen sich die Protonierungs- bzw. Deprotonierungsschritte in Abhängigkeit vom pH-Wert mit der Puffergleichung (Hasselbalch/Henderson) ausreichend beschreiben. Für die Säurefunktion gilt somit: pH = pks1 + lg([HA]/[H2A]+), für die Aminofunktion demnach: pH = pKs2 + lg([A-]/[HA]). Der Wert pKs3 ist zu berücksichtigen, wenn eine AS mit protolysierenden Seitenketten (sauer bzw. basisch) vorliegt (vgl. Praktikumsskript S. 23-27). In der Vorlesung haben wir uns die Gleichung der Berechnung des pH-Werts am isoelektrischen Punkt (IP) hergeleitet. Ausgangspunkt ist, dass am IP gilt: [H2A+] = [A-]; üben Sie sich doch noch einmal in der Herleitung, indem Sie die beiden Puffergleichungen umstellen und in letztere Beziehung einsetzen. Somit können Sie sich alle Beziehungen im Praktikumsskript selbst herleiten.

Zum Verständnis der Säurestärke: welche Rolle spielt dabei die Konstitution des Moleküls?

Sie werden in den Lehrabschnitten der organischen Chemie ausführlich auf induktive und mesomere Effekte in Molekülverbindungen eingehen (einführender Literaturhinweis: z.B. Mortimer (2007) S. 540-542 oder "Organikum"). In der Vorlesung besprechen wir hier kurz einige Beispiele. Eine Grundregel ist beispielsweise, dass die Säurestärke einer COOH-Gruppe mit zunehmender Kettenlänge des Restes R abnimmt. Vergleiche dazu die pKs-Werte: Methansäure (3.75), Ethansäure (4.75) und Propansäure (4.87), hier wirkt der (+I)-Effekt ("elektronendrückend"). Elektronegative Substituenten (elektronenziehende Gruppen) führen zum (-I)-Effekt. Vergleichen wir dazu folgende Verbindungen: Ethansäure/Essigsäure (4.75), Monochloressigsäure (2.70), Trichloressigsäure (0.66), Trifluoressigsäure (0.23). Beachtlich (!): letztere Verbindung würden wir im Prinzip schon als starke Säure behandeln. Mesomere Effekte treten immer dann in Erscheinung, wenn beispielsweise aromatische Ringsysteme (auch gerade Heterocyclen wie z.B. in den AS Histidin, Tyrosin oder Troptophan) als Substituenten vorhanden sind. Ein einfaches Beispiel wäre Phenol, ein Alkohol, der eine OH-Gruppe am sonst unsubstituierten Aromatenkern trägt. vergleichen wir den pKs-Wert mit denen von aliphatischen Alkoholen, ergibt sich z.B.: Ethanol (18.00), Methanol (16.00), Phenol (10.00). D.h., Phenol ist um ca. 6 Zehnerpotenzen "stärker sauer" als Wasser, die beiden Alkohole dagegen zeigen eine weniger saure Reaktion als Wasser. Den sauren Charakter von Phenol verstehen Sie besser, wenn Sie sich einige mesomere Grenzstrukturen des Moleküls aufzeichnen (Ausgangspunkt: Phenol in Anion und Proton dissoziieren lassen, mesomere Grenzformeln des Anions formulieren).

Präparative Trennung von Aminosäuren

Die Auftrennung eines AS-Gemisches ist prinzipiell durch Chromatographie möglich. Im Praktikum führen Sie dazu einen Dünnschichtchromatographie-Versuch (DC) durch. Unter Chromatographie verstehen wir ein physikalisch-chemisches Trennverfahren für ein Stoffgemisch zwischen zwei miteinander nicht mischbaren Phasen. In unserem Fall handelt es sich um eine Verteilungschromatographie (andere Varianten: Adsorptions- oder Ionenaustausch-Chromatographie). Im Prinzip läuft eine strömende (mobile) Phase an einer festen (stationären) Phase vorbei. Als Trägermaterialien für die stationäre Phase werden z.B. Aluminiumoxid, Siliciumdioxid (Kieselgele), Cellulose oder Stärke verwendet. Die Materialien sollten dabei eine einheitlich Korngröße (wichtig!) und eine möglichst wenig aktive Oberfläche aufweisen. Für die DC werden Glasplatten oder stabile Aluminiumfolien mit dem Trägermaterial beschichtet (Schichtdicke 250-300 µm, Trennzeiten zwischen 30-60 Minuten). Während der Chromatographie läuft in diesem Fall immer eine Vergleichssubstanz mit, eine wichtige Größe ist der Retentionsfaktor (Rf-Wert). Die Retention bedeutet das "Zurückhalten" einer Substanz am Trägermaterial. Der Rf-Wert ergibt sich als Quotient aus Laufstrecke der Substanz und Laufstrecke der Fließmittelfront (vom markierten Startpunkt aus). Dabei ist unbedingt zu beachten, dass die DC-Platte rechtzeitig aus der Chromatographie-Kammer zu entfernen ist, bevor die Lösungsmittelfront am oberen Rand der DC-Platte angekommen ist! Das Sichtbarmachen der Punkte, bis wohin die einzelnen AS auf der Platte gelaufen sind, erfolgt mittels der Ninhydrin-Reaktion (blau-violetter Farbpunkt). Im Praktikumsversuch werden 8 AS als Referenzsubstanzen mit dem zu analysierenden unbekannten AS-Gemisch auf die DC-Platte aufgetragen. Die Auswertung erfolgt durch den Vergleich der Rf-Werte.

Nachweisreaktionen von AS durch Reaktionen an den funktionellen Gruppen

Die durchgeführten Nachweisreaktionen (V 2.2 bis 2.6) sind später Gegenstand von Lehrabschnitten der organischen Chemie und werden nicht in der Klausur zum Grundpraktikum abgefragt.

Protolysegleichgewichte bei AS: Bestimmungen durch Säure-Base-Titration

Die Titration einer (unbekannten) AS (HA) wird besprochen. Die AS (Einwaage 210.2 mg) wird in 200 mL HCl gelöst, sie liegt nun komplett in ihrer Hydrochlorid-Form vor (vgl. Klausuraufgabe vom Januar 2009). Es wird zunächst der Verbrauch an Maßlösung (hier 0.5 m NaOH) bis zum 1. Pufferpunkt (Titrationsgrad = 0.5) ermittelt (2 mL). Der pH-Wert beträgt nun 2.19; am Pufferpunkt entspricht dies dem pKs1. Bei einem Titrationsgrad von 1 wurden 4 mL Maßlösung verbraucht, wir haben den IP erreicht. Da der Kurvenverlauf hier sehr steil verläuft, kann der pH-Wert für den IP praktisch nur ungenau aus der Kurve abgelesen werden. Es ist somit erforderlich, den Wert pKs2 aus der Kurve zu ermitteln. Er wird nach Zugabe von 6 mL der Maßlösung erreicht (pH = pKs2 = 9.21). Der IP kann dann somit aus diesen beiden Werten berechnet werden, hier pH = 5.70 (vgl. Praktikumsskript S. 23 oben). Die molare Masse der gesuchten AS ergibt sich schließlich aus dem Quotienten der exakten Einwaage der AS und der Stoffmenge (in mmol) an zugegebenen Hydroxid-Ionen am IP (in diesem Fall 2mmol). Somit ergibt sich die relative Molekülmasse von 105.09, was der AS Serin entspricht.

Beeinflussung der Protolysegleichgewichte bei AS durch Komplexbildung

AS-Moleküle sind "polyfunktionell", sie enthalten sowohl die Aminfunktion als auch die Carboxylatogruppe, die beide durch Donation ihrer freien Elektronenpaare als Liganden in Metallkomplexen fungieren können (Ausbildung einer koordinativen Bindung). In wässrigen Lösungen von AS werden also in Gegenwart von Metallsalz-Kationen (Lewis-Säuren) Konkurrenzreaktionen zwischen diesen und den Protonen aus den Protolyse-Gleichgewichten der jeweiligen AS stattfinden. Betrachten wir die Reaktion der einfachsten AS Glycin mit Cu(II)-Ionen in wässriger Lösung. Das Glycin kann dabei (in einfach deprotonierter Form an der Carboxylat-Gruppe) als zweizähniger Chelatligand fungieren, in dem ein Carboxylato-Sauerstoff und das freie Elektronenpaar an der Aminfunktion an das Zentralatom binden. Es resultiert damit ein Chelatkomplex, da der (komplette) Ligand zweizähnig fungiert. Bei der Komplexbildung werden Protonen frei, d.h., der pH-Wert der Lösung erniedrigt sich. In diesem Fall werden nun gleich zwei AS-Moleküle gebunden, es reultiert schließlich ein inneres Komplexsalz, Bis(glycinato)kupfer(II). Räumlich ist der Komplex so aufgebaut, dass die beiden Glycinato-Liganden in der quadratisch-planaren Ebene koordinieren, das Polyeder wird in diesem Fall noch mit zwei weiteren Wasser-Liganden zu einem (verzerrten) Oktaeder ergänzt; der exaktere Name des Komplexes wäre Diaqua-bis(glycinato)-kupfer(II).

Komplexometrische Bestimmung von Eisen mit edta

Die Problematik der Komplexbildung von Metall-Ionen mit dem Dinatriumsalz der Ethylendiamintetraessigsäure (Titriplex III) und deren Ausnutzung in der Maßanalyse wurde im vorherigen Abschnitt behandelt. Im Rahmen der Vollanalyse (vgl. Praktikumsskript S. 30) erhalten Sie eine Analysenprobe, deren Eisengehalt Sie komplexometrisch bestimmen sollen. Dabei wird ein Teil der Probe durch direkte Titration der Eisen(III)-Ionen mit Titriplex III bestimmt. Direkte Titration heißt in diesem Fall, dass die Probe unter Bildung eines 1:1- Komplexes gegen den Indikator Sulfosalicylsäure von rot-violett nach gelb titriert wird (Berechnung: 1 mL 0.1 m Titriplex III = 5,5845 mg Fe). Ein zweiter Teil der Analysenprobe wird mit dem Titrierautomaten bestimmt. Hierbei lernen Sie das Prinzip der Rücktitration kennen. Rücktitration bedeutet hier, dass ein Überschuss an Maßlösung zur Probe gegeben wird. Dabei reagiert die gesamte Eisenmenge in Form der entsprechenden Komplexbildung sofort ab und ein Teil der Maßlösung bleibt unreagiert zurück. Dieser Teil der nicht verbrauchten Maßlösung wird nun mit einer Maßlösung eines anderen Metallions "zurücktitriert. Das zu verwendende Metallion muss der Forderung gerecht werden, dass es weniger stabile Komplexe mit edta als Fe(III) bildet, da sonst eine Verdrängung des schon komplett komplexierten Eisens aus dem anfänglich gebildeten Komplex erfolgen würde. (Die Bestimmung würde somit nicht funktionieren.) Man bestimmt den Teil der nicht nverbrauchten Maßlösung nun durch direkte Titration mit einer Cu(II)-Maßlösung, sämtliches Eisen in der Probe ist sozusagen maskiert. Vergleichen Sie dazu die Beständigkeitskonstanten für den Eisen- bzw. den Kupfer-Komplex: lgß ([Fe(edta)]-) = 25.10, lgß ([Cu(edta)]2-) = 18.80. Sie sollten bei der Berechnung beachten, dass eine Differenzbildung im Verbrauch der gesamten Maßlösung vorzunehmen ist.

Redoxchemie: Bleiche, Desinfektion, oxidativer Stress - starke Oxidationsmittel

Die Lernziele dieser Lehreinheit umfassen folgende Schwerpunkte:

Literatur: Mortimer (2007) S. 229-234 (Oxidationszahlen, Redoxbegriff), S. 358-369 (NWE, Potentiale), S. 406-408 (Wasserstoffperoxid, Superoxid), S. 418 (Peroxodisulfat).

Allgemeines zur Redoxchemie

Dieser Text wird in Kürze vervollständigt.